Zurück zu den Wurzeln

„Platon und Aristoteles sind die modernsten Denker, die es gibt. Aber nicht, weil ich das sage, sondern weil sie bisher von niemandem übertroffen worden sind.“ Mit José Luis Martínez’ Gedanken versteht man, warum der Philosoph, Literaturliebhaber und Weinkenner die erste Schule für Geisteswissenschaften auf Mallorca gegründet und die Bücherei Alejandría eröffnet hat, die einen wahren Schatz birgt: die tausend besten Bücher der Literatur.

Auf Raffaels Fresko Die Schule von Athen zeigt Platon nach oben und deutet damit das Konzept aus zeitlosen Idealen und Ideen an, während Aristoteles in die Gegenrichtung, nach unten, zur materiellen Welt zeigt. Meister und Schüler sind von Kunst, Philosophie und Wissenschaft umgeben – ein Hinweis auf die berühmte Athener Denkerschule. 

Mit seiner Schule der Geisteswissenschaften will Martínez den griechischen Meistern der Antike nacheifern und lässt sich dabei von Sokrates‘ Worten inspirieren, das Studium der Sterne sei wohl gut, aber der Mensch ungleich interessanter. 

„Das Internet ist eine Kultur des Vergessens. Nichts ist von Wert, alles ist exakt gleich“, behauptet Martínez, der auch Besitzer der La Biblioteca de Babel ist, einer der schönsten Palmesaner Büchereien. Dem schwindelerregenden Rhythmus, dem unsere heutige Gesellschaft huldigt, stellt die Schule der Geisteswissenschaften das Konzept der Rückkehr zu den Wurzeln, zur Debatte entgegen. Zurück zum Gespräch unter Freunden, die zusammen um einen Tisch sitzen, sich austauschen, voneinander lernen und einen Gegensatz zum schrillen Trubel des digitalen Zeitalters darstellen.  

Eine Schule, die sich dem Studium und der Verbreitung der Humanwissenschaften verschrieben hat, wo Natur- und Geisteswissenschaften Hand in Hand gehen, sich ergänzen in von Experten abgehaltenen Kursen, Workshops und Seminaren, u.a. in den Bereichen Natur, Neurowissenschaft, chinesische Kalligraphie, audiovisulle Konzepte, den klassischen Sprachen oder der Mythologie, mit dem Ziel, die Kultur zu humanisieren. 


Die Bibliothek von Alexandria


„Das Universum (das andere Bibliothek nennen) setzt sich aus einer umbestimmten, vielleicht unendlichen Zahl sechseckiger Galerien zusammen, mit weiten Luftschächten in der Mitte, umgeben von sehr niedrigen Geländern. Von jedem Sechseck kann man die unteren und oberen Etagen sehen: endlos“, schreibt Jorge Luis Borges in seiner Erzählung Die Bibliothek von Babel. 

Martínez und sein Team ließen sich bei der Einrichtung der Bücherei Alejandría (Alexandria) von Borges‘ Idee inspirieren. Die Bibliothek befindet sich im Zentrum, an der Costa de Can Muntaner, und offeriert ein ungewöhnliches Konzept: in den Regalen finden sich die tausend besten Bücher der Geschichte, jedenfalls nach José Luís Martínez‘ Kriterium, die auch in der Originalsprache vorhanden sind. „Die Bücherei Alejandria ist unsere papierne Arche Noah in einer Zeit der digitalen und technischen Sintflut. Das grüne Schild am Eingang  erinnert an die typische Londoner Buchhandlung in der Londoner Charing Cross Road in den 50-er Jahren“, erzählt Martínez, während er die Metallgitter des originellen Lokals hochfahren lässt. 


Während der Philosoph seinen Kaffee austrinkt, gesteht er, dass er die Menschen bewundert, die es aushalten, ein Jahr lang kein Buch zu lesen „in diesem todlangweiligen Alltag. Ich weiß nicht, wie sie das anstellen, aber ich bewundere sie“, stellt er nicht ohne Ironie fest. Die Energie des von seinen Büchern und Autoren schwadronierenden Buchhändlers ist einfach ansteckend. „Ziemlich bekannte Bücher, die jedem gefallen könnten“, kommentiert er. 


Als erstes führt Martínez die Bibel an: „Ein fundamentales Werk, in dem alle literarischen Genre vertreten sind, von der Fantasy der Apokalypse bis zur romantischen Hirtendichtkunst des Hoheliedes. In einem gewissen Sinn enthält die Bibel alle anderen Bücher“, bekräftigt Martínez. 

„Die Odyssee ist eine Sage über die große Reise, das große Abenteuer des heldenhaften Odysseus, der darum kämpft, seine Menschlichkeit und den heiligen Kreislauf des Lebens zu erreichen. Don Quijote von La Mancha bedeutet viele Dinge, vor allem jedoch die geniale Erfindung des Romans, der enormen Lust am Fabulieren, die den Menschen in seiner Großartigkeit in den Mittelpunkt stellt und sich dabei der Sanftheit und Ironie bedient.“ 


Ob Gargantua und Pantagruel (Rabelais), Leben und Ansichten von Tristam Shandy (Sterne) oder irgendein Roman von Charles Dickens, sie alle bereichern das Erbe des Quijote, sind lustig, sarkastisch und wunderbar respektlos. „In einer Liste wie dieser dürfen einige mystische Werke nicht fehlen, ob die Dichtkunst der Sufi oder das Spirituelle Hohelied des Juan de la Cruz, wo das Wort sich im Fluge erhebt, während sich die Musik in Schweigen hüllt, wie in einer intimen Zeremonie. Nicht zu vergessen Shakespeares Hamlet, Montaignes Essays oder die Bücher von Balzac und Pérez Galdós!”, doziert Martinez in seiner Rolle des „Rezepte“ ausstellenden Buchhändlers. 

Für ihn gehören die Werke von Tschechov und Maupassant zu den Meisterromanen des XIX Jahrhunderts. „Und dass mir niemand den großen chinesischen Klassiker Die Reise in den Westen, die Abenteuer des Affenkönigs (Xiyouji) vergisst zu lesen! Sie werden es mir danken.“

Martínez will einige der bedeutenden Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts nicht außen vorlassen. „Ich glaube, jeder sollte Der erste Mensch von Albert Camus lesen. Oder Quadern Gris von Josep Pla oder jedes Werk des mit einer überschäumenden Phantasie gesegneten Álvaro Cunqueiro.. Und natürlich Louis Stevenson Die Schatzinsel”, empfiehlt er und benennt in einem Atemzug „drei faszinierende, superintelligente und nur schwer einzuordnende Autorinnen, die in der bunt gemischten Denkerwelt des XX Jahrhunderts brilliert haben: Simone Weil, Hannah Arendt und María Zambrano.“

Die Schule für Geisteswissenschaften und die Bücherei Alejandría – zwei Räume in Palmas Zentrum, die ihren Beitrag zur Seelenrettung der Menschen durch die Kultur leisten. 

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