Tomeu Arbona
Die Küche unserer Urgrosseltern
Tomeu Arbona, Chefkoch und Konditor, lässt im legendären Forn des Teatre alte mallorquinische Rezepte auferstehen.
Fotografie Nando Esteva
Ich war schon immer ein enthusiastischer Bewunderer der Anthropologie und allen Dingen, die die soziokulturelle Geschichte Mallorcas betreffen. Außerdem esse ich gern; Gastronomie hat mich von jeher interessiert.
Bei meinen Recherchen zu alten Kochrezepten stieß ich auf die Enzyklopädie Die Balearen von Erzherzog Ludwig Salvator von Österreich Toskana. Der Adlige erläutert darin sehr detailliert die kulinarischen Gepflogenheiten des damaligen Mallorcas. Vor allem die Namen der Rezepte, von denen viele für immer vergessen sind, ließen mich aufmerken.
Später entdeckte ich das in den 60er Jahren veröffentlichte Buch Cocina Selecta Mallorquina (Ausgesuchte mallorquinische Küche) von Madò Coloma. Sie war die erste Frau, die ein Buch der Inselküche verfasste und dass, obwohl sie Analphabetin war! Coloma arbeitete in den Herrenhäusern Palmas und erstellte eine Rezeptesammlung, der sie auch andere populäre Rezepte hinzufügte.
Das Studium der traditionellen Kochkunst von Pedro Alcantara Penya ist ebenfalls interessant. Die Nummer 1 ist für mich jedoch das vom Augustinermönch Jaume Martí im XVII Jahrhundert geschriebene Kochbuch, das Gerichte enthält, die im Konvent und den Herrenhäusern zubereitet wurden.
Reich & arm
Damals wurden fast alle Zutaten auf Mallorca angebaut und hergestellt, nach dem heutigen Prinzip der „0 Transportkilometer”. Außerhalb der Inselgrenzen wurde nur wenig gekauft, zum Beispiel Gewürze. So mancher Reiche segnete das Zeitliche ob seines zu hohen Harnsäurespiegels, der durch übermäßigen Fleischverzehr entsteht. Die Armen hingegen kannten Fleisch als „Sonntagsbraten“. Beim Verzehr von Zucker sahen die Dinge ähnlich aus. Reiche Leute futterten täglich Süßigkeiten, die Armen nur an Festtagen.
Viele der damals populären Zutaten, wie Schmalz vom Schwarzschwein, Bord-Pfeffer oder hiesige Getreidesorten, gelten heute als exotisch. Ein Töpfchen Schwarzschwein-Schmalz zu finden ist nunmehr fast ein Dreier im Lotto. Der Tourismusboom ging auf Mallorca mit einem Niedergang der Land- und Viehwirtschaft einher und so wurden schon bald Produkte aus dem Ausland importiert, die heimische Zutaten ersetzten.
Seitdem lassen sich zwei Linien konstatieren: auf dem Land hat sich die mallorquinische Küche besser behaupten können, als in den Städten, in denen ausländische Produkte den Geschmack einheimischer Rezepte verfälschen.
In mallorquinischen Haushalten kommen derzeit kaum echte traditionelle Gerichte auf den Tisch, außer bei besonderen Gelegenheiten. In den Bäckereien (forns) finden wir immer dieselben Dinge, Ensaïmadas oder Pasteten, mehr Auswahl gibt es kaum.
Alle Zivilisationen, die Mallorca prägten, haben ihre Spuren in der Inselküche hinterlassen. Mich fasziniert besonders der jüdische Einfluss auf die hiesige Gastronomie; derzeit beschäftige ich mich detailliert damit und studiere das Kochbuch eines Herrenhauses von Palma.
Unsere Arbeit lebt von Empirie. In unserer Auslage im Forn des Teatre gibt es Gerichte, deren Zubereitung den Leuten unmöglich erscheint, während es für uns das genaue Gegenteil ist. Wenn du Dinge stolz und sicher vermittelst, verleihst du ihnen Bedeutung. Und das bewegt die Menschen.“
Zufälle des Lebens
„Zur Gastronomie kam ich eher zufällig. Früher arbeitete ich als Sozialarbeiter und Streetworker in Es Jonquet, Son Banya oder Polígono de Levante, die zu den Problemvierteln von Palma zählen. Außerdem war ich Psychoanalytiker. Doch mit der Krise verlor ich Patienten und schließlich meine Arbeit. Bei einem Bummel durch die Stadt entdeckte ich irgendwann ein kleines, hübsches Lädchen – Es Rebost in der calle Santa Clara, wo man handgemachte Speisen anbot. Ich ging hinein und kam mit der Besitzerin ins Gespräch. Schließlich einigten wir uns darauf, dass ich ihr ein paar meiner geflochtenen Ensaïmadas bringen sollte, die wir übrigens noch heute backen. Schon am nächsten Tag rief sie mich an, ihre Kunden fragten nach dieser besonderen Ensaïmada, schossen Fotos. Sie bestellte mehr und so begann ich, Ensaïmadas und andere Gerichte nach altem Brauch zuzubereiten. Bis der Herd bei mir zuhause im wahrsten Sinne des Wortes abbrannte. Doch ich wusste, dass ich Erfolg haben würde und beschloss, mich selbstständig zu machen, auch wenn ich kein Geld hatte. Ich zapfte meinen Rentenplan an und eröffnete die Bäckerei Fornet de la Soca in der calle Sant Jaume. Ich kaufte einen Pizzaofen und wir dekorierten das Lokal mit Esszimmermöbeln, einer alten Vitrine, die bei uns zuhause rumstanden...
Am Vorabend der Eröffnung arbeitete ich die ganze Nacht durch, doch der Ansturm der Leute übertraf alle Erwartungen: bereits um 11 Uhr vormittags war alles ausverkauft. Ich weinte, teils weil mich die Gefühle übermannten, teils weil ich fürchtete, all dem nicht gewachsen zu sein.
Damals war ich allein. Der erste Monat in der Bäckerei lief super und binnen eines Jahres war die Belegschaft auf sechs angewachsen. Dann kam die Krise und wir waren nur noch zu zweit. Eigentlich hatten wir keinen Ehrgeiz, wollten die Dinge nur gut machen, wie man es in den eigenen vier Wänden tun würde.
Wir ließen uns von der Krise nicht unterkriegen, unser Motto war: „Bis jetzt haben wir es gut gemacht, ab sofort machen wir es besser.“ Wir richteten unser Konzept neu aus und entschieden, wirklich alles komplett à la mallorquina zu machen. Im Jahr 2014 gewann ich den Konditor-Ausscheid, das steigerte unsere Bekanntheit.
Heute sind wir gut vernetzt [...]
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